Das Bildnis des Herrn B. oder Herr
B. und das Bild.
Herr B. Saß in seinem Büro und
betrachtete äußerst unkonzentriert den Monitor seines Rechners, auf
welchem die aktuelle Quartalsabrechnung zu sehen war. Auf dem
Schreibtisch stand eine halbvolle Tasse mit erkaltetem Kaffee. Das E
– Mail Programm meldete mit einem Piepsen 7 neue Nachrichten. Auf
der dicht befahrenen Strasse vor dem rot bemalten Jugendstilgebäude
fuhren jetzt verstärkt Autos vorbei. 15:30- es ging vehement auf den
Feierabendverkehr zu. Herr B. musste noch eine halbe Stunde in
seinem Büro verbringen, dann durfte er endlich nach Hause.
Er war heute voller Vorfreude, da er
dort ein Paket erwartete. Diese Erwartung wurde durch das Überprüfen
seiner Mails noch einmal bestärkt, da ihm der postalische Erhalt des
Bildes für heute zugesichert wurde.
Herr B. War nämlich vor sieben Tagen
auf die Homepage einer ihm bislang unbekannten Künstlerin gestoßen,
welche ihn sofort in ihren Bann gezogen hatte. Er erinnerte sich nur
zu gut an diesen Abend. Eigentlich wollte er im Internet nur kurz
nach dem Wetter für den kommenden Tag sehen. Falls es regnet, wollte
er nicht ohne seine Regenjacke aus dem Haus gehen. Plötzlich war
aber dann die Seite mit diesen Ölpastellfarben auf dem Monitor zu
sehen. Herr B. dachte damals, da er aus Versehen auf einen
Werbebanner geklickt hätte. Eigentlich unwahrscheinlich, den Herr B.
Ist ein vorsichtiger Mensch und lockende Werbung im Netz machte ihm
Angst. Er wollte nicht, das jemand anders seinen Rechner ausspäht.
Beim Anblick der Bilder waren aber
seine sonstigen Bedenken mit einem Male in das Reich der
Unwichtigkeiten gerückt. Die dort zu sehenden Gesichter und Pflanzen
zogen ihn immer stärker in ihren Bann. Einige Male hatte er den
Eindruck, als ob sie aus seinem Monitor heraustreten. Herr B. Hatte
sich zuvor noch nie ein Kunstwerk gekauft. Die Wände seiner 3
Zimmerwohnung besaßen keinen Wandschmuck. Bei dem Bild Sündenabgrund
drückte er auf den Bestellknopf. Warum, wusste er am nächsten
morgen auch nicht mehr. Gleichwohl konnte er es kaum mehr erwarten,
dieses endlich in seinen Händen zu halten.
Dies war vor 7 Tagen. Seither konnte
sich Herr B. Kaum mehr auf seine Arbeit konzentrieren. Immer wieder
musste er an seine Bestellung denken. Dies war natürlich auch seinem
Vorgesetzten nicht entgangen, welcher Herr B. zu mehr Sorgfalt
mahnte. Zweimal enthielten seine Berechnungen in den letzten Tagen
Fehler. Herr B. War dies sehr unangenehm, da er seine Arbeit
ansonsten mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerkes ausführte.
Aber das Bild ging ihm nicht aus dem Kopf – die dort zu sehenden
tanzenden Gesichter schienen förmlich auf ihn zu warten.
Die Uhr der gegenüberliegenden Kirche
schlug 16:00 Uhr und Herr B. Durfte endlich seinen Computer
herunterfahren. Er schwitzte etwas, obwohl der an der Wand hängende
Kalender bereits Ende Oktober anzeigte. Herr B. zog sich dennoch
seinen Mantel an, da der Onlinewetterdienst für den Spätnachmittag
gerade einmal 7 Grad über Null prognostizierte.
Er verließ sein Büro, verabschiedete
sich mit dem üblichen „Einen schönen Feierabend, die Dame“ von
der Sekretärin seiner Arbeitsgruppe und machte sich daran, das Haus
durch die massive Eichenholztüre zu verlassen.
Obwohl draußen ein eisiger Wind durch
die Straße pfiff, war es Herr B. Immer noch viel zu warm. Er
wischte sich mit einem blau – weißen Taschentuch die reichlich
vorhandenen Schweißperlen von seiner Stirn. Nur gedämpft nahm er
die vorbeifahrenden Autos wahr. Er hielt sich wie immer auf dem
Bürgersteig ganz rechts.
Ein Pärchen mit einem Bassett kam ihm
entgegegen. Der Hund hatte blutunterlaufene Augen und lief
gemächlich. Seine menschlichen Begleiter lachten und rauchten
selbstgedrehte Zigaretten. Sie begutachteten Herr B. Kurz. Dann
liefen sie mit leicht beschleunigtem Schritt weiter. Herr B. Glaubte
bemerkt zu haben, das sich die beiden etwas zuflüstern. Sicher war
er sich hier aber nicht.
Herr B. Hoffte, das seine Nachbarin das
Paket mit dem Bild entgegengenommen hat. Es später noch bei der Post
abholen zu müssen, würde noch einmal eine Stunde in Anspruch
nehmen. So lange konnte er nicht mehr warten.
Ein Polizeiauto fuhr vorbei. Die
Kirchturmuhr zeigte sieben nach vier. Das Herz von Herr B. Schlug
unregelmäßig. Es begann, leicht zu nieseln. Die vorbeifahrenden
Polizisten sahen für einen Augenblick hinüber zu Herr B. Ihr
Gesicht war freundlich. Sie lachten.
Über was ? Herr B. Konnte sich
diesbezüglich keinen Reim machen. Das Bild wartete auf ihn. Nur
hierauf kam es an. Ob die Polizisten dies wussten ? Das Nieseln war
in einen leichten Regen übergegangen. Wer konnte, bemühte sich,
schnellstmöglich nach Hause zu kommen.
Alle Passanten liefen schnell an Herr
B. vorbei. Die Fußgängerzone war deutlich weniger belebt als an
einem sonnigen Tag. Alle Straßenrestaurants waren leer. Selbst die
Bauarbeiter bei der neu hochgezogenen Shopping Mall waren bereits im
Feierabend. Herr B. hatte den Bahnhof fast erreicht. Eine Station
mit dem Nahverkehrszug, dann war er endlich zu Hause. Ein Betrunkener
pinkelte vor den Bahnhof.
Zuhause wurde Herr B. Bereits von
seiner Nachbarin im Treppenhaus erwartet. Sein Schwitzen war nicht
besser geworden. Es roch nach Putzmittel. Die Frau älteren Alters
hielt ein Paket in ihren Händen. Neben ihr stand ein roter Eimer.
Herr B. war etwas schwindelig. Er wollte schnell an sein Paket. Die
Frau erinnerte ihn daran, das er nächste Woche mit der Kehrwoche
dran ist.
Sie händigte ihm danach seine Post
aus. Er schritt schnellen Schrittes die Treppe hinauf und öffnete
seine Wohnungstüre. Die Luft war etwas abgestanden, da er die
letzten Tage das Lüften etwas vernachlässigt hatte. Herr B. lebte
alleine. Seine Frau hatte sich bereits vor sieben Jahren von ihm
getrennt. Die Ehe war kinderlos geblieben.
Herr B. schaltete seinen Computer an
und startete den Browser. Er verspürte das Gefühl, urinieren zu
müssen. Auf der Toilette war der Spiegel derart beschlagen, das Herr
B. sein Spiegelbild kaum erkennen konnte. Seine schwarze
Buntfaltenhose war an der Unterseite vom Regen etwas nass geworden.
Vereinzelt wies sie Schlammspritzer auf. Der Reißverschluss seines
Hosenladens klemmte etwas und ließ sich nur mit Mühe öffnen.
Herr B. hielt seinen Penis in der
linken Hand und versuchte , in die Mitte der Toilette zu zielen. Der
Urin ließ auf sich warten. Er schwitzte immer noch. Dann ergoss sich
ein fast rostfarbener Strahl in den Abwasserkanal der Stadt. Die
Quelle schien fast kein Ende mehr zu nehmen und Herr B. glaubte
förmlich auszulaufen. Fast so, als ob sich seine Blase auf kommende
Ereignisse vorbereiten müsse. Seine Hände zitterten etwas und
einige Spritzer des nicht gelben Saftes landeten auf der
Toilettenbrille. Er strich sich über seine Halbglatze.
Herr B. verließ die Toilette und
setzte sich an den Rechner, welcher in seinem Wohnzimmer stand. Das
noch nicht ausgepackte Paket lag auf dem purpurroten Sofa. Das
Inventar bildete an den weiß gestrichenen Wänden Schatten.
Auf dem Bildschirm waren tanzende
Gesichter in Öl - Pastel zu sehen. Sie schienen Herr B. an etwas
erinnern zu wollen. Kein Geräusch war zu hören. Irgend wo in diesem
Land wurde gerade ein Mensch umgebracht. Seine Abrechnung für das
letzte Quartal enthielt Fehler. Herr B. wollte keine Fehler machen.
Er ging in die Küche und holte eine Schere. Die Farben auf seinem
Monitor verdichteten sich und gewannen an Plastizität. Die Schere
war scharf geschliffen. Mit ihr ließ sich das Paket mühelos öffnen.
Fast wie der Körper einer Katze. Herr B. erschrak kurz etwas, den er
hatte noch nie in seinem Leben mit einer Schere einer Katze den
Körper geöffnet.
Das Bild war nicht besonders groß.
Bestenfalls A3. Es befand sich keine Rechnung in dem Paket. Herr B.
hatte die Bestellung mit einem Online Bezahldienst beglichen und
machte sich hierüber daher keine weiteren Gedanken.
Er nahm das Bild in die Hand und strich
vorsichtig über das Papier. Dieses fühlte sich warm an. Die Farben
erinnerten ihn an seine über vierzig Jahre zurückliegende Kindheit.
Seine Schweißausbrüche waren etwas abgeklungen. Die Gesichter
beobachteten ihn. Zwei an der Zahl. Sie glichen denen auf dem
Monitor. Das Orginal eines Abbildes. Die anderen Fratzen hielten
sich im Hintergrund. Sie waren zu sechst.
Die Farbgebung schien sich je nach
Betrachtungswinkel zu verändern. Das wussten die Fratzen ebenfalls.
Herr B. war sich sicher, das sie sich etwas zuflüstern. Das eine
Gesicht schien der Sache noch etwas kritisch gegenüberzustehen. Das
andere frohlockte bereits. Herr B. konnte seinen Blick von dem Bild
nicht abwenden.
Inzwischen war es 19.00 Uhr geworden.
Herr B. verspürte keinen Hunger. Seine Nahrung war das Bild. Der
Monitor seines Rechners begann leicht zu flackern. Über diesem muss
es angebracht werden. Hierzu brauchte er durchsichtigen Tesa, welchen
er vorsorglich bereits gestern gekauft hatte. Er entnahm vier
Streifen und befestigte die tanzenden Gesichter an der ansonsten
kahlen Wand. Diese schien hierauf nur gewartet zu haben, da sie das
Bild begierig aufnahm. Sie wehrte sich nicht.
Die Schere lag auf dem Tisch. Sie war
nicht rostig. Ihr Griff glich einem Kopf. Das Paket hatte sie gut
geöffnet. Besser, als er die letzten Tage die Quartalszahlen
ausgewertet hatte.
Das Bild auf dem Monitor gewann an
Kontrast. Die Farben leuchteten. Vor dem Fenster lachten lärmende
Kinder. Eine Woche hat sieben Tage. Samstags ist Tag Nr.6. Der Eimer
in der Metzgerei ist voll mit warmem Schweineblut. Der Griff der
Schere nicht. Die Sonne war blutrot. Aus den Boxen des Computers tönt
keine Musik. Der Putzeimer seiner Nachbarin lag ausgespült in deren
Bad. Am siebenten Tage sollst du ruhen. Sechs Gesichter waren auf dem
Bild zu sehen. Sie frohlockten. In der Tesa Packung fehlen vier
Streifen. Irgendwo onaniert ein Pfarrer vor seinen Ministranten. Die
Verpackung des Paketes hatte ihren Dienst getan und war nutzlos
geworden. Die Wand hatte das Bild komplett in sich aufgenommen. Der
Geselle trank jeden Tag einen Becher Schweineblut. Nur Sonntags nicht
– an diesem Tag hat er frei. Ein Ministrant wird in 42 Jahren
Bankdirektor sein.
Herr B. fühlte sich eins mit seiner
Umwelt. Rot ist die Farbe der Liebe. Die Augen des Bassetts glühten.
Auf die Schere war Verlass. Wandbild war Umwelt, Welt war Bild. Die 7
ist in der 42 6 mal enthalten. Das Sperma des Pfarrers enthielt Blut.
Das wusste dieser aber nicht. Kein Gesicht konnte dem Bild
entweichen. Ausweglos. Wer will, der kann. Ein Ministrant nicht, den
er wird an seinem 17.Geburtstag an seinem Erbrochenen ersticken. Die
Schere wird dann immer noch ihren Dienst tun. Gottes Wege sind
unergründlich. Das Bild an der Wand erstrahlt über mein Heim.
Herr B. war sich nicht mehr sicher, ob
er tatsächlich Format A3 gewählt hatte. Die Wirklichkeit ist immer
größer als ihr Abbild. Schere und Bild gehören zusammen. Das
Schweineblut schmeckt leicht salzig. Die Wand hatte aufgehört, sich
zur Wehr zu setzen. Niemand lachte, eine Fratze feixte.
Die heraushängenden Gedärme der toten
Katze waren voller Maden. Alles verschwindet wieder in seiner Umwelt.
Meistens hatte der Pfarrer während der heiligen Messe eine Erektion.
Der Apfelbaum bietet für eine Weile genügend Nahrung.Herr B. ahnte
dies. Seine Wurzeln reichen bis tief in die Erde. Auch Maden brauchen
Nahrung. Schere, Wand und Bild sind eins. Welt ist Umwelt.
Eine Fratze lacht über ihn. Letzten
Sonntag war der Pfarrer während des Orgelspieles zum Höhepunkt
gekommen. Niemand bemerkte etwas. Herr B. hatte zu dieser Zeit noch
geschlafen. Sie alle befinden sich in einer Welt ohne Ausweg. Sechs
Gesichter machen noch kein Bild. Die Maden wären ohne die Katze
woanders. Trotzdem ist sie ohne Schuld. A3 wird zu A2.Rot ist eine
Signalfarbe. Die Schere ist scharf. Blut ist rot. Feixende Fratzen
feiern. Noch sind wir sechs. Die tote Katze hat keine Schmerzen mehr.
Herr B. will nicht mehr wehleidig sein. Die Erektion des Pfarrers
kündigt sich meistens nicht an. Schweineblut stärkt den Organismus.
Ein anderer Ministrant genießt es, Tiere leiden zu sehen. Toleranz
bedeutet ertragen – die Schere verlangt Beachtung. Sie ist scharf
geschliffen und zerschneidet auch Haut. Schere, Stein, Papier. Der
Brunnen verschlingt alles.
Der Monitor ist ausgegangen und der
Rechner fährt herunter. Machtvolle Schere, die du bist. Unseren
Platz gib uns heute. Zufriedene Gesichter sind auf vielen Bildern zu
sehen. Blut ist Blut – egal, ob von Schwein oder Mensch. Daheim ist
daheim – eine Sendung aus dem Regionalfernsehen.
A1 ist grösser als A2. Edward mit den
Scherenhänden. Alles ist rot. Leblose Hülle in einer leeren Welt.
Wo ist die Welt ? Schere durchdringt Eingeweide mühelos. Sieben ist
mehr als sechs. Mir bleibt keine Wahl. Der Apfelbaum frohlockt. Was
bleibt auch anderes übrig. Die Welt ist nicht grösser als A3. Die
glorreiche Sieben. Sie ritten in die blutrote Abendsonne. Wer will,
der kann – die scharfe Schere kann alles durchtrennen. Kunst kommt
vorrangig von müssen; Können ist nur Grundvoraussetzung, mehr
nicht. Gibt es ein Leben nach dem Tode ? Ein anderer Ministrant
studiert Theologie. Der Baum der Erkenntnis bleibt Herr B. nicht
versagt.
Blutflecken lassen sich aus einem
Teppichboden nur schwer wieder entfernen. Der Entrümpler fluchte,
den ansonsten wäre der Perser sicher 500 Euro wert gewesen. Er war
nur froh, das andere die Sauerei zuvor bereits wieder etwas in
Ordnung gebracht hatten. Na, zumindest Computer und Monitor waren
problemlos noch zu Geld zu machen. 150 Euro sind hier sicher noch
herauszuschlagen. Immerhin etwas. Und das Ölpastellbild über dem
Rechner ? Der Entrümpler betrachtete es etwas genauer.
Na – besonders groß ist es ja nicht.
Ungefähr A3. Sieben tanzende Fratzen waren hier in einer blutroten
Landschaft zu sehen. Schon ein Hinschauer, das Ding. Der Entrümpler
entfernte es von der Wand. Er hatte den Vormieter nur zweimal auf
einem Foto gesehen, aber das eine Gesicht glich diesem etwas. Na –
bei so Typen weiß man ja nie so genau – man sieht ja, wo so etwas
endet.
Er beschloss, das Bild im Internet zu
verkaufen. Die sieben Fratzen waren schließlich gut gemalt und
hierfür findet sich immer ein Käufer....
Tja, was ist nun mit dem guten Herr B.
? Ist er einfach nur über seiner ganzen Rechnerei verrückt geworden
und hat sich seines tristen Daseins befreit ? Oder doch kein
Selbstmord und das Bild hat ihn tatsächlich in sich aufgesogen ? Wie
viele Köpfe waren es nun ? Wir werden es wohl nie erfahren. Text stammt von sammelkerl und kann auch auf seinem Blog : dukatenesel.blogspot.de bewundert werden.